Der Heilpraktiker in den Jahren 1933 bis 1945; die Entwicklung in der Nachkriegszeit


Nur scheinbar ist der Heilpraktikerberuf ein Relikt nationalsozialistischer Gesetzgebung. Tatsächlich erweist er sich als eine Schöpfung der Nachkriegs-Rechtssprechung. Diese hat den durch die Nationalsozialisten beabsichtigten Untergang des Heilpraktikerberufs aufgehalten und die bis heute gültigen Rechtsgrundlagen geprägt.

Die Nationalsozialisten sahen in der naturheilkundlichen Alternativmedizin die Chance, eine „Neue Deutsche (Volks-)Heilkunde“ zu etablieren. Aus diesen ideologischen Gründen förderten sie entsprechende Therapierichtungen. So wurde unter anderem in Berlin ein Lehrauftrag für Homöopathie vergeben, in Stuttgart ein homöopathisches Krankenhaus und in Leipzig eine homöopathische Poliklinik gegründet. Das Rudolf-Heß-Krankenhaus in Dresden erhielt die Aufgabe, „Schul- und Außenseitermedizin“ zu integrieren.

Die deregulierte – aufgrund ihrer heterogenen Strukturen kaum zu kontrollierende – Heilpraktikerschaft selbst stand hingegen im Widerspruch zum organisationsrechtlichen Führungsanspruch des Nationalsozialismus. Um stärkeren Einfluss auf das Heilpraktikerwesen nehmen zu können, strebten die Nationalsozialisten eine Gleichschaltung der beruflichen Interessenvertretungen an. Sie veranlassten die Gründung des „Heilpraktikerbundes Deutschlands e.V.“, in diesem waren ab 1934 sämtliche Heilpraktiker zusammengeschlossen. Das Berufsrecht der Heilpraktiker wurde grundlegend umgestaltet: Die Vorgaben der Satzung der „Deutschen Heilpraktikerschaft“ sowie diejenigen der neu geschaffenen Berufsordnung waren für Heilpraktiker fortan verbindlich.

Trotz dieser Reglementierungen widersprachen sowohl die heterogenen Strukturen des Heilpraktikerwesens, als auch der liberale Grundsatz der Kurierfreiheit den Prinzipien des autoritären Staates. Am 26.05.1937 erklärte der Reichsärzteführer, die Duldung der Heilpraktiker sei mit den Grundgedanken des Nationalsozialismus´ unvereinbar. Diese politisch geförderte Meinung setzte sich durch. Sie bildete die Grundlage für den Erlass des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (HPG) vom 17.02.1939. Diesem folgten am 18.02.1939 eine erste und am 03.07.1941 eine zweite Durchführungsverordnung (DVO). Diese Regelungen beendeten die allgemeine Kurierfreiheit. Sie sollten die Berufslandschaft der Heilpraktiker vereinheitlichen und in politischer bzw. rassischer Hinsicht „säubern“. Langfristig sollte der Beruf des Heilpraktikers untergehen und ein Ärztemonopol errichtet werden.

Das HPG definierte in § 1 Abs. 2 erstmals den Begriff der Heilkunde auf gesetzlicher Ebene; es führte zudem mit § 1 Abs. 1 für Personen ohne ärztliche Approbation einen staatlichen Erlaubnisvorbehalt ein. Bei Verstößen drohten nach § 5 HPG Geld- oder Freiheitsstrafe. Die Absicht, die in der Bevölkerung beliebte Naturheilkunde zu fördern, blieb hiervon allerdings unberührt. Träger dieser „Neuen Deutschen Heilkunde“ sollten jedoch ausschließlich Ärzte sein. Diese wurden mit der Aufgabe betraut, verstärkt naturheilkundliche Heilverfahren anzubieten. Das angestrebte Ärztemonopol war untrennbar mit der Übernahme der Naturheilkunde durch die Schulmedizin verbunden. Eine Heilpraktiker-Erlaubnis konnten ausschließlich diejenigen Naturheilkundigen beanspruchen, die ihren Beruf bereits ausübten. Sie mussten hierzu die in der ersten DVO festgelegten Voraussetzungen erfüllen und den erforderlichen Antrag bis zum 01.04.1939 stellen. Die erste DVO stellte Verfahrensregeln für die Erteilung der Erlaubnis auf. Sie ermöglichte ferner die nachträgliche Rücknahme der Heilpraktiker-Erlaubnis sowie deren präventiver Versagung im Falle spezifischer Gründe. Die zweite DVO ergänzte diese Ablehnungstatbestände um die Heilpraktikerüberprüfung. Auf diese Weise versperrte das HPG den zukünftigen Zugang zum Heilpraktikerberuf; es wahrte lediglich – für eine Übergangzeit – den Besitzstand der Berufsangehörigen.

Das HPG sollte den Berufsstand der Heilpraktiker langfristig abschaffen. Trotzdem erfuhr der Beruf des Heilpraktikers mit dessen Wirksamwerden erstmals rechtliche Anerkennung und Ordnung. Dies zeigt insbesondere die in § 1 Abs. 3 HS. 2 HPG eingeführte gesetzliche Berufsbezeichnung „Heilpraktiker“. Entsprechend der nationalsozialistischen Zielsetzung, den Heilpraktikerberuf aus dem gesellschaftlichen Leben zu verdrängen, enthielt das HPG keine berufsausbildenden oder berufsqualifizierenden Regelungen. Dies sollte dem Eindruck einer staatlichen Anerkennung des Heilpraktikers entgegenwirken: Die Heilpraktikererlaubnis sollte nicht als „kleine Approbation“ missverstanden werden. Anstelle des Gesetzgebers erließ allerdings die standesrechtliche Vertretung der Heilpraktiker – die Deutsche Heilpraktikerschaft – berufsbezogene Vorgaben. Deren Berufsordnung reglementierte die Berufsausübung; diese diente der Einführung und Sicherung fachlicher Mindeststandards.

Das Antragserfordernis ermöglichte es erstmals, nachprüfbare Angaben über die Anzahl der Heilpraktiker zu erheben. Bis zum 01.04.1939 beantragten insgesamt ca. 12.000 Personen eine Heilpraktikererlaubnis; 10.067 Personen übten den Beruf des Heilpraktikers aus.

Nach dem Untergang des Dritten Reichs blieben grundsätzlich alle bisherigen Rechtsnormen weiter gültig; dies galt auch für das HPG und die DVO. Ausgenommen hiervon waren allerdings solche Normen, die nationalsozialistisches Gedankengut enthielten. Aus diesem Grund erklärte der Kontrollrat § 2 Abs. 1 lit. c) und f) DVO für unanwendbar. Nach der klarstellenden Regelung des Art. 123 Abs. 1 GG gilt das Recht aus der Zeit vor dem ersten Zusammentritt des Deutschen Bundestages am 07.09.1949 fort, soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht. Trotz divergierender Begründungen steht außer Streit, dass diejenigen Vorschriften des Heilpraktikerrechts außer Kraft traten, auf denen die berufsständische, öffentlich-rechtliche Organisation der Heilpraktikerschaft basierte. Sämtliche Regelungen mit Zwangscharakter verloren ihre Gültigkeit; die Grundlage der standesrechtlichen Organisation der Heilpraktiker – die Pflichtmitgliedschaft in der Deutschen Heilpraktikerschaft e.V. – entfiel. Die standesrechtlichen Vorgaben wurden bedeutungslos. Als vorkonstitutionelles Recht sind die Normen des HPG gemäß Art. 123 Abs. 1 GG am Maßstab des Grundgesetzes, insbesondere an Art. 12 Abs. 1 GG, zu messen.

Zahlreiche Regelungen des Heilpraktikerrechts enthielten nationalsozialistisches Gedankengut; diese Normen erwiesen sich als unvereinbar mit der grundgesetzlichen Werteordnung. Hierzu zählten insbesondere folgende Vorgaben: § 2 Abs. 1 lit. b), lit. e), lit. h) DVO, § 5 S. 2 DVO, § 8 DVO, § 9 DVO, § 10 DVO, § 2 Abs. 2 HPG, § 3 Abs. 2 S. 1 HPG, § 6 Abs. 2 HPG sowie § 7 HPG. Die Vorgaben der § 2 Abs. 1 lit. a), lit. f) sowie lit. i) DVO stehen hingegen mit dem Grundgesetz in Einklang.

Die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG schützt nicht nur die Berufsausübung als solche, sie gewährleistet vielmehr auch den Zugang zu einem Beruf – die Berufswahl. Aufgrund der restriktiven Zulassungsbeschränkungen des HPG und der DVO konnten Interessierte den Beruf des Heilpraktikers jedoch nicht ergreifen – der Zugang zum Heilpraktikerberuf war versperrt. Dieser – offene – Widerspruch zu Art. 12 Abs. 1 GG rief massive Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zulassungsregelungen hervor. Die Rechtsprechung teilte diese Bedenken, sie wertete die restriktiven Zulassungsbeschränkungen als Verstoß gegen den Wesensgehalt von Art. 12 Abs. 1 GG. Die Beurteilung der Frage, ob ein Ausnahmefall im Sinne von § 2 Abs. 1 HPG vorläge, sei allein in das Ermessen der entscheidenden Behörde gestellt und unterfalle somit der Willkür.

Das Bundesverfassungsgericht erachtete § 2 Abs. 1 HPG dennoch nicht für nichtig; es legte diese Norm verfassungskonform aus: lediglich die gesetzliche Einschränkung „nur in besonders begründeten Ausnahmefällen“ sei unwirksam. Jedem Berufsbewerber, der die durch das HPG und die DVO vorgeschriebenen Voraussetzungen zur Zulassung erfülle, stünde deshalb ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Berufserlaubnis zu. Diese Sichtweise verkehrte die Zielrichtung des HPG in ihr Gegenteil. Sollte es ursprünglich zur Abschaffung der Heilpraktikerschaft führen, erweist sich § 1 Abs. 1 HPG nunmehr als rein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Das HPG wandelte sich somit zu einem Berufszulassungsgesetz. Erfüllt ein Antragssteller die gesetzlichen Anforderungen, so hat er einen rechtlich verbürgten Anspruch auf die Erteilung der Heilpraktikererlaubnis – ihm steht ein subjektives Recht auf Berufszulassung zu.

Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte darüber hinaus die grundsätzliche Rechtmäßigkeit der sich aus dem HPG und der DVO ergebenden Berufszugangsregelungen. Es handelt sich hierbei um subjektive Berufszulassungsregelungen, sofern sie nicht wegen ihres nationalsozialistischen Charakters außer Kraft getreten sind oder für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt wurden. Sie berühren nicht den Wesensgehalt von Art. 12 Abs. 1 GG. Auch § 1 Abs. 1 HPG regelt die Berufswahl in verfassungskonformer Weise. Der Erlaubnisvorbehalt dient der Sorge um ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut: der Volksgesundheit. Folglich sind die Regelungen des HPG und der DVO in der durch die Rechtsprechung geprägten Form gemäß Art. 125 GG gültiges Bundesrecht.